Definition
Zurzeit erfährt die Bankenbranche einen tiefgreifenden Wandel, angetrieben durch die zunehmende Erkenntnis, dass Nachhaltigkeit auch in diesem Sektor notwendig ist. Eine der bedeutendsten Entwicklungen in diesem Kontext ist das Aufkommen des Sustainable Lending, also der nachhaltigen Kreditvergabe. Doch was genau bedeutet dieser Begriff?
Sustainable Lending ist eine finanzielle Praxis, bei der Banken und Finanzinstitute Kredite und Kreditfazilitäten unter Berücksichtigung von Umwelt-, Sozial- und Governance-Kriterien (ESG¹) bereitstellen. Einfach ausgedrückt geht es darum, sicherzustellen, dass die vergebenen Mittel nicht nur finanzielle Renditen erwirtschaften, sondern auch positiv zu Gesellschaft und Umwelt beitragen.²
Sustainability (Nachhaltigkeit) bezieht sich in diesem Kontext auf Praktiken, die die gegenwärtigen Bedürfnisse erfüllen, ohne die Fähigkeit zukünftiger Generationen zu gefährden, ihre eigenen Bedürfnisse zu befriedigen. Sie umfasst Umweltmanagement, soziale Verantwortung und gute Unternehmensführung. Lending (Kreditvergabe) hingegen bezeichnet den Prozess, bei dem Banken und Finanzinstitute Geld oder Kredite an Einzelpersonen, Unternehmen oder Regierungen vergeben mit der Erwartung der Rückzahlung, oft mit Zinsen.
Das Konzept der nachhaltigen Kreditvergabe ist nicht neu. Es hat seine Wurzeln in den breiteren Bewegungen des sozial verantwortlichen Investierens (SRI)³ und der unternehmerischen Sozialverantwortung (CSR)⁴, die im späten 20. Jahrhundert an Dynamik gewannen. Historisch gesehen konzentrierten sich Banken hauptsächlich auf finanzielle Kennzahlen und auf die Kreditwürdigkeit bei der Bewertung von Kreditanträgen. Doch als die schädlichen Auswirkungen des Klimawandels, der sozialen Ungleichheit und der schlechten Governance immer deutlicher wurden, wuchs der Ruf nach einem ganzheitlicheren Ansatz im Finanzsektor.⁵
Anfang der 2000er-Jahre markierte die Einführung der Equator Principles einen bedeutenden Meilenstein. Diese freiwilligen Richtlinien wurden von Finanzinstituten übernommen, um Umwelt- und Sozialrisiken in der Projektfinanzierung zu bewerten und zu managen. Im Laufe der Zeit zementierten Rahmenwerke wie die Principles for Responsible Banking der Vereinten Nationen und die Task Force on Climate-related Financial Disclosures (TCFD)⁶ die Bedeutung der Integration von ESG-Faktoren in die Kreditvergabe weiter.
Heute steht die nachhaltige Kreditvergabe, nebst der zur Verfügungstellung nachhaltiger Anlagen⁷ an vorderster Front bei den Bemühungen des Schweizer Finanzplatzes, eine nachhaltigere und gerechtere Wirtschaft zu unterstützen. Sie spiegelt einen grundlegenden Wandel in der Funktionsweise von Finanzinstituten wider, der anerkennt, dass ihre Rolle über die Rentabilität hinausgeht und auch Verantwortung für das gesellschaftliche und ökologische Wohlergehen umfasst.
Der geschäftliche Nutzen
Strategische Vorteile für Banken
Die Integration der nachhaltigen Kreditvergabe in die strategische Vision einer Bank bietet zahlreiche Vorteile. Erstens positioniert sie Banken als führende Akteurinnen im wachsenden Markt für grüne Finanzierungen und nutzt die zunehmende Nachfrage von umweltbewussten Investor:innen und Verbraucher:innen. Zweitens können nachhaltige Kreditvergabepraktiken den Ruf und den Markenwert einer Bank verbessern und ein Kundensegment anziehen, das ethische und nachhaltige Geschäftspraktiken priorisiert.
Finanziell kann nachhaltige Kreditvergabe Risiken im Zusammenhang mit dem Klimawandel und sozialen Unruhen mindern. Durch die Vergabe von Krediten an Projekte und Unternehmen, die ESG-Kriterien einhalten, können Banken das Risiko von Zahlungsausfällen und Stranded Assets⁸ im Zusammenhang mit umweltschädlichen Industrien verringern. Darüber hinaus favorisieren Regulierungsbehörden weltweit zunehmend nachhaltige Finanzierungen⁹. Banken, die in diesem Bereich führend sind, sind besser positioniert, um sich an neue und veränderte Vorschriften anzupassen und potenzielle Geldstrafen und Sanktionen zu vermeiden.
Kundschaft zur Nachhaltigkeit motivieren
Banken spielen eine entscheidende Rolle bei der Motivation ihrer Kundschaft zur Einführung nachhaltiger Praktiken. Sie tun dies durch eine Reihe von Produkten und Anreizen, die darauf abzielen, Nachhaltigkeitsbemühungen zu unterstützen und zu belohnen. Einige dieser Produkte umfassen:
- Grüne Kredite und Hypotheken: Diese werden zu niedrigeren Zinssätzen für Projekte und Immobilien angeboten, die spezifische Umweltkriterien erfüllen, wie zum Beispiel Gebäude mit guten Energieeffizienzausweisen oder Anlagen, die erneuerbare Energie konsumieren respektive bereitstellen.
- Nachhaltigkeitsgebundene Kredite (SLLs¹⁰): Diese Kredite haben Zinssätze, die an die Leistung der Kreditnehmerschaft bezüglich vorgegebener ESG-Ziele gebunden sind. Wenn ein Unternehmen seine Nachhaltigkeitsziele erreicht, profitiert es von niedrigeren Finanzierungskosten.¹¹
- Grüne Anleihen: Banken geben grüne Anleihen aus, um Projekte zu finanzieren, die positive Umwelt- oder Klimavorteile haben. Diese Anleihen ziehen Investor:innen an, die sich auf nachhaltige Entwicklung konzentrieren.
- Umweltfreundliche Kreditkarten: Einige Banken bieten Kreditkarten an, die Umweltanliegen berücksichtigen oder Ausgaben für nachhaltige Produkte und Dienstleistungen belohnen.¹²
Zudem bieten Banken Beratungsdienste an, um Kund:innen beim Übergang zu nachhaltigeren Geschäftspraktiken zu unterstützen.¹³ Dies umfasst zum Teil proaktive Beratungen zu ESG-Strategien, Hilfe bei der Navigation durch grüne Zertifizierungen und Schulungen zu Best Practices im Bereich Nachhaltigkeit.
Umfassende Datenerhebung für nachhaltige Produkte
Akkurate Daten sind die Grundlage für eine effektive, nachhaltige Kreditvergabe. Da Emissionsdaten von offiziellen Quellen begrenzt und/oder verzögert zur Verfügung gestellt werden können (im Vergleich zu den Zeitplänen der bankinternen Geschäftsprozesse), setzen Banken verschiedene Strategien ein, um umfassende und zuverlässige Informationen zu sammeln. Dazu gehören:
- Klimarisikodaten: Banken analysieren Daten zu physischen Klimarisiken und Übergangsklimarisiken¹⁴ und verwenden (interne oder eingekaufte) Modelle, um die potenziellen Auswirkungen des Klimawandels auf die Betriebsabläufe und die Vermögenswerte ihrer Kundschaft vorherzusagen.
- Regionale Daten: Regionale Umweltdaten helfen Banken, die lokalen ökologischen Bedingungen und die regulatorischen Umgebungen zu verstehen, was für die Bewertung der Nachhaltigkeit von Projekten entscheidend ist.
- Energieeffizienzkennzahlen: Bei der Kreditvergabe für Immobilien bewerten Banken die Energieeffizienz von Gebäuden unter anderem anhand von Daten aus Energieaudits, Zertifizierungssystemen wie LEED oder BREEAM sowie aus intelligenten Zählern.
- Lieferketten- und Produktionsdaten: Banken bewerten die Nachhaltigkeit der Lieferkette und/oder der Produktion eines Unternehmens, indem sie dessen Umwelt- und Sozialpraktiken untersuchen.¹⁵
Durch den Einsatz von Technologien wie künstlicher Intelligenz und maschinellem Lernen werden Banken in der Lage sein, grosse Datensätze zu analysieren, Muster zu erkennen und Risiken genauer zu bewerten. Darüber hinaus können Banken bereits jetzt Daten über etablierte Batch-Datenübertragungen oder API-Layers konsumieren und die erfassten Daten modellieren, sodass sie beispielsweise für Kundeninteraktionen und zu Berichterstattungszwecken weiterverwendet werden können. Dieser datengesteuerte Ansatz stellt sicher, dass nachhaltige Kreditprodukte auf soliden und ganzheitlichen Bewertungen basieren und letztendlich nachhaltigere Ergebnisse unterstützen.
Herausforderungen und Bekämpfung von Greenwashing
Irreführende Angaben über die Umweltvorteile eines Produkts zu machen (fahrlässig oder vorsätzlich), stellt eine erhebliche Herausforderung in der nachhaltigen Kreditvergabe dar. Dieses sogenannte Greenwashing führt oft zu Misstrauen bei Investoren und der Öffentlichkeit, da Unternehmen Nachhaltigkeit nur vorgeben, ohne substanzielle Massnahmen zu ergreifen. Diese Kritik am ESG-Ansatz, insbesondere bezüglich der fehlenden Transparenz und Konsistenz in der Bewertung, ist weitverbreitet. Kritiker:innen bemängeln, dass ESG-Investitionen überbewertet sind und kurzfristige Trends begünstigen, ohne langfristige Ergebnisse zu liefern.¹⁶
Um diese Kritik anzugehen und Greenwashing zu verhindern, müssen Banken strenge Due-Diligence-Prozesse implementieren und sich dabei auf standardisierte Rahmenwerke und zertifizierte Drittverifizierungen stützen, die die tatsächliche Nachhaltigkeit ihrer Kundschaft und ihrer Projekte bewerten. Einheitliche Standards und externe Prüfungen spielen hier eine entscheidende Rolle, um die Glaubwürdigkeit von ESG-Angaben zu gewährleisten.
Ein weiterer wichtiger Schritt ist die Bekämpfung der Intransparenz und der Inkonsistenz von ESG-Ratings. Banken beauftragen ESG-Ratingagenturen und unabhängige Prüfer:innen, um Behauptungen zu überprüfen und sicherzustellen, dass die Mittel tatsächlich für nachhaltige Zwecke verwendet werden. Dies sorgt nicht nur für Vertrauen bei den Investor:innen, sondern hilft auch, die langfristige finanzielle Stabilität zu sichern, die ESG-Investitionen anstreben.
Darüber hinaus trägt die Einführung globaler Standards wie der Green Loan Principles¹⁷ und der Sustainability-Linked Loan Principles (SLLP)¹⁸ zu Transparenz und Verantwortlichkeit bei. Diese Standards fördern nicht nur nachhaltige Finanzierungen, sondern tragen auch dazu bei, den ESG-Ansatz langfristig zu stärken, indem sie klare und überprüfbare Richtlinien schaffen, die Greenwashing und Missmanagement verhindern.
Auf regulatorischer Ebene treiben sowohl die EU¹⁹ als auch die Schweiz²⁰ Massnahmen voran zur Integration einer strengeren Überwachung und ESG-Berichterstattung. Dies schliesst verschärfte Offenlegungspflichten und klimabezogene Stresstests für Banken ein. Ziel ist es, die Rechenschaftspflicht von Banken und Kreditnehmenden zu erhöhen und sicherzustellen, dass nachhaltige Finanzprodukte tatsächlich positive Auswirkungen haben.
Ebenfalls entscheidend ist eine verstärkte Kommunikation der positiven ESG-Effekte, gepaart mit der Einführung einheitlicher Berichtsstandards, einer strengen regulatorischen Rahmenlegung und der Betonung der langfristigen Vorteile von ESG-Investitionen, um das Vertrauen in die nachhaltige Kreditvergabe weiter zu erhöhen. Nur so kann gewährleistet werden, dass ESG-Initiativen nicht nur einen kurzfristigen Hype darstellen, sondern auch berechtigter Kritik effizient entgegenwirken und gleichzeitig einen echten positiven Einfluss auf Umwelt, Gesellschaft und Wirtschaft erzielen können.
Eine Vision für die Zukunft
Stellen wir uns eine Zukunft vor, in der nachhaltige Kreditvergabe die Norm ist und von Banken und deren Kundschaft vollständig akzeptiert wird. Finanzinstitute integrieren nahtlos standardisierte und transparente ESG-Kriterien in alle Kreditentscheidungen, sodass finanzierte Projekte sowohl der Umwelt als auch der Gesellschaft nützen. Die Kundschaft, motiviert durch finanzielle Anreize und gestärkt durch das gewonnene Vertrauen, priorisiert nachhaltige Praktiken. Diese Synergie reduziert die Kohlenstoffemissionen, fördert die soziale Gerechtigkeit und stärkt die wirtschaftliche Widerstandsfähigkeit. Die Weltwirtschaft floriert nachhaltig, was sowohl gegenwärtigen als auch zukünftigen Generationen zugutekommt.
Key Take-Aways
- Sustainable Lending integriert Umwelt-, Sozial- und Governance-Kriterien in finanzielle Praktiken und führt sowohl zu finanziellen Renditen als auch zu positiven gesellschaftlichen Auswirkungen.
- Strategische Vision: Die Übernahme der nachhaltigen Kreditvergabe verbessert die Reputation einer Bank, mindert Risiken und hilft bei der Umsetzung neuer, einschlägiger Regularien.
- Kundenmotivation: Banken bieten ihrer Kundschaft beispielsweise grüne und nachhaltigkeitsgebundene Kredite, grüne Anleihen und umweltfreundliche Kreditkarten an, um nachhaltige Praktiken zu fördern.
- Bekämpfung von Greenwashing: Strenge Due-Diligence-Prüfungen und die Einhaltung globaler Standards gewährleisten die Authentizität der Ansprüche an Nachhaltigkeit.
- Umfassende Daten: Banken nutzen eine breite Palette von Daten, darunter Klimarisiken, regionale Bedingungen und Kennzahlen zur Energieeffizienz, für die Entwicklung nachhaltiger Kreditprodukte.
Fazit
Sustainable Lending stellt einen Paradigmenwechsel in der Bankenbranche dar, der sowohl strategische als auch finanzielle Vorteile bietet und gleichzeitig Umwelt- und soziale Verantwortung fördert. Durch die Motivation der Kundschaft mittels innovativer Produkte und durch die Bekämpfung von Greenwashing mittels rigoroser Datenanalyse und Verifizierung stehen Banken an der Spitze der nachhaltigen Entwicklung. Da die Nachfrage nach nachhaltiger Finanzierung weiter wächst, werden Banken, die diese Praktiken übernehmen, nicht nur zu einer nachhaltigeren Zukunft beitragen, sondern auch ihre Position als führende Unternehmen in der Finanzbranche sichern. Für eine vertiefte Diskussion zu den Chancen und Strategien der nachhaltigen Kreditvergabe stehen Ihnen unsere Expert:innen bei Oepfelbaum IT Management AG zur Verfügung.
____________________
Kontakt